#29 Anna-Lena von Hodenberg - Die dunkle Seite des Internets

Shownotes

Diese Folge findet an einem geheimen Ort statt, denn nur so stellt das Büro von Hateaid einen geschützten Raum für die eigenen Mitarbeiter*innen dar.
Hateaid hat die Aufgabe, Menschen zu schützen, die digitale Gewalt erfahren, denn diese mündet oft in analoger Gewalt. Als bundesweit erste Beratungsstelle für digitale Gewalt helfen sie Betroffenen, unterstützen sie beim Stellen von Anzeigen, finanzieren Prozesskosten und richten sich mit ihren Anliegen an die Politik, um auf systemischer Ebene einen Wandel voranzutreiben und Social Media Plattformen durch Gesetzgebung mehr zu regulieren. Zusammengefasst setzen sie sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein. Über allem steht die Frage: Wie kann Demokratie im scheinbar rechtsfreien Raum Internet funktionieren? Denn digital lassen sich Meinungsbildung leicht manipulieren und Hass schnell reproduzieren. Wie können Plattformen gestaltet werden, damit Diskussionen nicht mehr in Lebensgefahr enden?

Besonders betroffen von digitaler Gewalt sind Politikerinnen und Journalistinnen und Aktivist*innen, ganz sicher ist allerdings niemand von uns. Genau deswegen sagt Anna-Lena, dass wir als Zivilgesellschaft lauter auf Hass reagieren und dagegen laut werden müssen, denn gegen die Waffen des rechten Hass lässt sich alleine schwer vorgehen und die Unterstützung der Politik lässt zu wünschen übrig.

Neben negative Campaigning spricht Anna-Lena über rechtsextreme Kampfbegriffe und wieso diese nicht in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen werden sollten. Sie erklärt, was medialer Erfolg durch Award Nominierungen und Gewinne mit unternehmerischem Erfolg zu tun hat. Außerdem erklärt sie, wie sie trotz eines so negativen Themas positiv bleibt und wieso Plattformen wie Facebook nicht bereit sind, ihren Algorithmus zu verändern.

https://www.linkedin.com/in/anna-lena-von-hodenberg-4501a3148/

https://hateaid.org/wp-content/uploads/2022/04/biografien-podiumsteilnehmerInnen-hateaid.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Anna-Lena_von_Hodenberg

https://hateaid.org/ki-rassismus/

https://hateaid.org/safety-by-design-mastodon-twitter/

https://hateaid.org/intersektionalitaet/

https://hateaid.org/politische-forderungen/

https://hateaid.org/betroffenenberatung/

https://open.spotify.com/episode/1U79eK3Y3KHTnkMe9JbF6V

Musik: https://youtu.be/jpZHGYrxj9A


Eine Produktion von MAKIKO* für die Viva Equality gemeinnützige UG

Gastgeber: Julius Bertram

Redaktion: Jeanna Lee Miller; Jamie Tom Seeliger

Mitarbeit: Martin Gertz

Produktion: MAKIKO*

Transkript anzeigen

Anna Lena von Hodenberg - geschnitten.wav

Anna-Lena von Hodenberg: Du kannst echt davon ausgehen, dass jede Person in Deutschland von digitaler Gewalt betroffen sein kann. Es kann jedem und jeder passieren. Ich gucke halt unter ein Kommentar und sehe da zehn unterschiedliche Hasskommentare und denke mir krass, zehn Leute haben das gepostet und am Ende, war es nur eine Person, die aber zehn Accounts bedient hat. Und wenn wir jetzt alle mal in uns gehen und überlegen, was war vor zehn Jahren noch nicht sagbar und was ist jetzt auf einmal plötzlich sagbar, dann hat das einfach richtig, richtig gut funktioniert.

Intro/Outro: Goodcast, der Podcast, der wirkt, präsentiert von Viva Equality.

Julius Bertram: Halli, Hallo und Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge des Goodcast. Mein Name ist Julius Bertram, und ich begrüße heute bei mir im Podcast Anna-Lena von Hodenberg. Anna-Lena ist Co-Gründerin und Co-Geschäftsführerin von HateAid, und eigentlich könnte man sagen, HateAid dürfte es gar nicht geben, denn HateAid hilft Leuten, mit Hass umzugehen, was ziemlich strange ist, weil man könnte sich fragen, wie kommt das überhaupt zustande, dass diese Menschen Hass so ausgesetzt sind? Kurz zusammengefasst, Facebook und die ganzen anderen Social Media Plattformen leben davon, dass der Algorithmus Dinge bevorzugt, die nicht positiv sind, und da entsteht dann eben ganz viel Wut und die Wut entlädt sich leider häufig bei Politiker*innen, bei Aktivist*innen. Sie entlädt sich bei den Menschen, die sich für etwas Gutes einsetzen. Und Anna-Lena und ihr Team von HateAid die beraten dann solche Menschen, die davon betroffen sind, wie man damit umgeht. Wir sprechen darüber, warum es HateAid eigentlich gibt, was wir alle tun können, damit es HateAid nicht mehr gibt und wie eine optimale Zukunft aussieht. Super krasses Interview! Auf jeden Fall hören. Ich wünsche dir ganz viel Spaß damit, jetzt geht's los. Anna-Lena

Anna-Lena von Hodenberg: Ja.

Julius Bertram: Danke, dass du in meinem Podcast bist.

Anna-Lena von Hodenberg: Ich freue mich auch. Ich bin gespannt.

Julius Bertram: Ich fange direkt, direkt an. Wir starten einfach direkt durch, also wir sind an einem geheimen Ort, dessen Adresse nicht verraten werden darf. Am Klingelschild steht nicht euer Name. Warum versteckt ihr euch?

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, also wir, ich würde jetzt nicht sagen, wir verstecken uns also alles, was du sagst, stimmt, und es hört sich sehr konspirativ an, und wir sind ja nicht irgendwie so, wir sind ja keine Geheimagent*innen und wir verstecken uns auch nicht, sondern wir schützen uns, weil unsere Aufgabe ist ja, als HateAid die Menschen zu schützen, die digitale Gewalt erfahren und auch analoge Gewalt, weil das beides ineinander übergeht. Das heißt, ich bekomme eine Morddrohung im Internet, dann wird im Internet meine echte analoge Adresse veröffentlicht, dann steht jemand vor meiner echten analogen Adresse und bedroht meine Kinder und genau diese Leute, die unterstützen wir, wir beraten, die wir unterstützen dabei in die Anzeige zu gehen, Melderegistersperren zu bekommen und so weiter, und das können wir nur machen, wenn wir selber sicher sind. Und natürlich sind wir auch betroffen, weil natürlich diejenigen, die unterstützen und schützen und für die Menschen eintreten, die im Internet angegriffen werden und sich zum Teil auch mit Leuten anlegen, die nicht so freundlich sind, sage ich jetzt mal vorsichtig, eben auch angegriffen werden. Und deswegen ist es für unsere Mitarbeitenden absolut oberste Priorität, dass die in einem geschützten Raum sind, wo sie dann ihre Arbeit machen können, weil wenn die nämlich noch Angst haben müssen, dann können die nicht mehr gut ihre Arbeit machen, und deswegen ist das hier ein maximal geschützter Raum.

Julius Bertram: Verstehe, hast du selber manchmal Angst?

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, ich habe manchmal Angst, das gehört auch dazu, und ich denke, manchmal ist es auch gut, weil wir dann auch oder ich dann auch das fühle, was auch unsere Klient*innen fühlen, und das nicht so was Abstraktes ist, was wir, was wir machen, und ich verlasse mich darauf, dass, ähm, wir alles tun, was wir tun können, und wenn trotzdem dann etwas passiert, dann muss ich genauso wie auch unsere Klientinnen damit umgehen.

Intro/Outro: Ein kleiner Hinweis in eigener Sache. Der Goodcast wird von uns mit viel Liebe für dich produziert. Bitte gib uns ein bisschen Liebe zurück und vergiss nicht, den Podcast zu abonnieren und zu bewerten. Auch über Kommentare freuen wir uns.

Julius Bertram: Also was ist HateAid, eine Beratungsstelle für Menschen, die digitaler Gewalt ausgesetzt sind?

Anna-Lena von Hodenberg: So haben wir mal gestartet, und das sind wir auch noch, es ist immer noch ein Teil von HateAid, mittlerweile sind wir aber eine Organisation, die sich für Menschenrechte im digitalen Raum einsetzt und die eben so ein Dach ist, auch eben für Deutschlands erste bundesweite Beratungsstelle für Betroffene von digitaler Gewalt, die wir vor fünf Jahren gegründet haben. Wir haben eine Sprechstunde, wo Menschen anrufen können, wir haben Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen in der Beratung, Sicherheitsexpert*innen und beraten eben emotional stabilisierend, Sicherheitsberatung, Kommunikationsberatung, was eben gerade gebraucht wird. Es verändert sich zum Teil auch, weil sich eben auch der digitale Raum verändert. Das heißt, Menschen, die im Internet Vergewaltigungsandrohungen bekommen, Morddrohungen bekommen, die gedoxt werden, also deren Adresse veröffentlicht wird, deren Nacktbilder im Internet veröffentlicht werden, you name it, die können zu uns kommen, und die werden hier beraten, werden, unterstützt, in die Anzeige zu gehen. Und der zweite Punkt ist eben, was wir auch machen. Wir machen Prozesskostenfinanzierung, das heißt Menschen, die gegen Täter*innen vor Gericht gehen möchten und sich die und Anwaltskosten dafür bezahlen müssen, weil es eben zivilrechtliche Verfahren sind. Dann übernehmen wir in geeigneten Fällen auch die Kosten, und wir unterstützen Menschen auch dabei, in die Anzeige zu gehen. Wir arbeiten mit der spezialisierten Staatsanwaltschaft in Hessen zusammen, wo wir eben diese Anzeigen dann auch direkt bei den hochladen können. Das ist uns wichtig, weil wir eben finden, dass Menschen auch diesen Rechtsstaat in Anspruch nehmen sollen und dass Täter*innen eben auch ja, ähm, bestraft werden sollen und betroffene Gerechtigkeit erfahren sollen. Und das dritte, was wir machen, ist, wir versuchen tatsächlich, auf so einer systemischen Ebene auch was zu verändern, also Gesetze zu verändern, Plattformen zu regulieren, setzen uns für die Rechte von Betroffenen von digitaler Gewalt ein, und wir denken eben darüber nach, wie im digitalen Zeitalter Demokratie eigentlich funktionieren kann in diesem Raum, so wie wir es in unserem Grundgesetz eben auch angelegt haben, dass eben wirklich die Grundrechte auch in diesem digitalen Raum eben auch geschützt werden, und überlegen uns da, wie das eben sein kann mit all der Brainpower, die hier da ist, von eben Psycholog*innen, von Jurist*innen, von Journalist*innen, von Kommunikationsexpert*innen, von IT- und Monitoringexpert*innen, das fließt alles in unserer Arbeit ein, und da machen wir eben der Politik Vorschläge, und wir setzen sie auch ein bisschen unter Druck, Dinge zu einfach auch umzusetzen.

Julius Bertram: Jetzt hast du eben gesagt, dass die Leute, die sich an euch wenden, Opfer sind von Gewaltandrohungen, Morddrohungen, Vergewaltigungsandrohung, da werden Adressen veröffentlicht. Woher kommt diese Verrohung? Also die Frage von der anderen Seite gestellt, warum braucht es euch überhaupt?

Anna-Lena von Hodenberg: Der digitale Raum war erst mal, und das Internet war erst mal ein Raum, der unglaublich viele Chancen uns ermöglicht hat, unglaublich viel Teilhabe. Menschen, die vielleicht vorher keine Stimme hatten in den Medien, die hatten plötzlich eine Stimme. Du kannst dein eigener Fernsehchef sein, es gibt niemand mehr, der sagt, das darfst du nicht senden. Du machst einfach deinen eigenen YouTube Kanal oder deinen eigenen TikTok Kanal, und das war erst mal eine total krasse Demokratisierung auch. Und das war eigentlich ein total schöner, utopischer Raum, der aber völlig unreguliert erstmal ist. Die Plattformen sind einfach erst mal da, und man geht da irgendwie drauf und produziert eben Inhalte. Und irgendwann haben eben auch Gruppen, die daran interessiert sind, Demokratie abzuschaffen, diesen digitalen Raum für sich entdeckt, und das waren vor allen Dingen Gruppen aus dem rechten und rechtsextremen Bereich, die gesehen haben, okay, wie können wir eigentlich digitale Räume benutzen, um eben öffentliche Meinung zu manipulieren, um Menschen aus diesen öffentlichen Räumen, aus den sozialen Medien herauszutreiben, indem wir sie eben mit Hass, mit Gewalt überziehen, und so ein Prototyp dafür, wo das wirklich auf so einer großen Skala das erste Mal ausprobiert wurde, war eben der erste Trump Wahlkampf, wo ganz gezielt nicht mehr das Haupt Budget in Fernsehwerbung ausgegeben wurde, sondern eben, wo man mit Facebook und Cambridge Analytiker zusammengesessen hat und eben ganz klar sozusagen Taktiken gesucht hat, wie man eben, ja wie man eben die politische Gegnerin verleumden kann, wie man politische Gegner beleidigen kann, bedrohen kann, solange einschüchtern kann, bis sie sich eben nicht mehr melden, Falschnachrichten verbreiten über den digitalen Raum und eben auch so eine Polarisierung zu provozieren in der in der Bevölkerung. Das hat super gut geklappt. Im Brexit hat man das auch gemacht, und die internationale Rechte hat sich mittlerweile sehr, sehr gut vernetzt, und diese Toolbox, diese Werkzeugbox wurde eben dann weitergegeben, und so ist das auch zu uns nach Deutschland gekommen. Und mittlerweile sehen wir vor allem seit 2015, dass diese Techniken immer weiter perfektioniert werden und das eben ganz, ganz wenige Leute für ganz viel Stimmung und ganz viel Hass und Gewalt im digitalen Raum sorgen können und damit sozusagen eine breite Mehrheit unter Druck setzen und auch unsere, also zur Polarisierung auch unserer Gesellschaft beitragen.

Julius Bertram: Was sind das für Leute auf der einen als auch auf der anderen Seite? Weil jetzt hört sich so an, als würde das nur Leute betreffen, die im öffentlichen Leben sind, die sich diesen Angriffen ausgesetzt sehen.

Anna-Lena von Hodenberg: Also, du kannst echt davon ausgehen, dass jede Person in Deutschland von digitaler Gewalt betroffen sein kann zu einem bestimmten Punkt. Das kann jedem und jeder passieren, aber manchen passiert es sicher, und das sind eben vor allen Dingen Politiker*innen, Kommunalpolitiker*innen, auch Journalist*innen, die vor allen Dingen auch zu bestimmten, vielleicht nicht die Beauty Journalist*innen. Aber wenn eine Person zu Migration berichtet, zu Klima, zu Rechtsextremismus, zu Feminismus, dann kann man eigentlich davon ausgehen, dass da digitale Gewalt und Hass folgt. Aktivist*innen auch zu diesen ähnlichen Bereich, die eben in ähnlichen Bereichen auch unterwegs sind, und ganz normale Leute, die eben ihre Meinung im Netz sagen zu Feminismus, zu Rechtsextremismus, also zu unterschiedlichen Themen, und die werden eben sozusagen im digitalen Raum gezielt angegriffen, und zwar so lange traktiert, zum Teil, bis sie eben sagen, okay, ich kann mir das hier nicht mehr antun, ich sag nichts mehr zu dem Thema, oder nee, zum Thema Rechtsextremismus schreibe ich kein Artikel mehr, weil ich weiß, was mir dann passiert. 19 Prozent der Bürgermeister*innen in Deutschland haben angegeben, dass sie schon mal darüber nachgedacht haben, nicht mehr anzutreten, also ihren Job zu schmeißen, weil sie Angst um sich selber und ihre Familie haben. Ich mach mein Amt nicht mehr, ich engagiere mich hier nicht mehr, ich gehe, ich schmeiß den Job. Genau die werden halt dann eben so lange traktiert, bis sie, die eben sich aus diesem digitalen Raum zurückziehen, und das Ziel ist, dass die, die am lautesten schreien, übrig bleiben und uns allen, die wir zugucken, zeigen, erstens, wenn du dich zu diesen Themen äußerst, siehst du ja schon, was dir blüht, und zweitens, wir sind die Mehrheitsmeinung, obwohl sie es vielleicht gar nicht sind, und so verändert man eben politische Stimmungen auch in einem Land, und so verändert man eben auch die Dinge des Sagbaren. Und wenn wir jetzt alle mal in uns gehen und überlegen, was war eigentlich vor zehn Jahren noch nicht sagbar, und was ist jetzt auf einmal plötzlich sagbar, dann hat das einfach richtig, richtig gut funktioniert. Und wenn wir alle mal ganz, ganz tief in uns reinhören, ob wir wirklich ganz offen immer zu allen Themen uns trauen würden, unsere politische Meinung im Netz bei X vormals Twitter zum Beispiel zu schreiben, dann sagen die meisten, das überlege ich mir eigentlich dreimal, oder wenn ich es mache, ist es wirklich eine sehr bewusste Entscheidung und oftmals auch mit einer Sorge oder mit Angst sogar verbunden.

Julius Bertram: Woher kommt diese Selbstverständlichkeit, Menschen so angehen zu können? Also eigentlich haben wir doch alle von Mutti oder vom Vati gelernt, dass man das nicht macht.

Anna-Lena von Hodenberg: Ja

Julius Bertram: Ich hoffe es also.

Anna-Lena von Hodenberg: Also theoretisch haben das die Leute, da würde ich jetzt auch nicht meine Hand für ins Feuer legen. So Aggression, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, also andere Leute abzuwerten, das ist was, was viele Leute auch schon im Elternhaus lernen ehrlich gesagt. Also gerade wenn du dir jetzt anguckst, Rassismus oder Frauenfeindlichkeit oder Feindlichkeit gegen die Queere Community, das ist oftmals was, was wir irgendwo gelernt haben. Damit sind wir nicht auf die Welt gekommen. Das heißt sozusagen Ressentiments, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die haben wir irgendwie so auf dem Weg, irgendwie so mitgelernt, und die große Frage ist aber gesellschaftlich sozusagen, warum ist, sind die roten Linien nicht mehr da? Wir denken das vielleicht, oder aber in bestimmten Situationen würden wir das nicht sagen, weil wir wissen, dann wird das eben sozial sanktioniert, dann gibt es halt ärger, dann stehen halt Leute auf und sagen, was sagst du da, oder wir werden vielleicht ausgeschlossen und so weiter. Und wir waren eigentlich in Deutschland schon an einem Punkt, wo in den großen Medien, in der Talkshow zum Beispiel man jetzt nicht mehr irgendwie frauenfeindliche Sachen sagen konnte oder mit Rassisten jetzt auch nicht mehr so nach vorne gehen konnte. Und plötzlich gab es dann diesen digitalen Raum, und Leute haben einfach mal angefangen zu gucken, wo ist es hier eigentlich die Grenze? Und es gab keine, weil im digitalen Raum zumindest bis vor kurzem und jetzt auch immer noch nicht flächendeckend kaum Strafverfolgung stattgefunden hat und die Plattform auch erst, also sehr willkürlich Inhalte löschen, wenn sie gemeldet werden, und eben auch erst Inhalte löschen, die zum Beispiel rassistisch sind oder die, die Shoa leugnen, also antisemitisch sind, wenn das eben gemeldet wird. Das heißt, Leute haben beleidigt und haben gesehen, passiert nichts! Leute haben bedroht und haben gesehen, passiert nichts! Leute haben mit Vergewaltigungen gedroht und haben gesehen, es passiert nichts. Leute haben Adressen veröffentlicht und haben gesehen, es passiert nichts. Das heißt sozusagen, das Internet kam den Leuten einfach vor wie der wilde Westen, wo man eben machen konnte, was man wollte, und dann gibt es eben, das nennt sich in der, in der Soziologie nennt sich das Broken Window Theorie. Dann, wenn erst mal ein Fenster in der Nachbarschaft zerschlagen ist, dann sind schnell die anderen Fenster auch zerschlagen, dann folgt eben anderer Vandalismus, und das ist da genauso, wenn man sieht: Ach, Guck mal, das kann hier bleibt ja einfach stehen, kann ich mal so eine kleine Holocaustleugnung oder mal so ein Hakenkreuz posten, no problem, dann machen das eben auch andere Leute, und dann fallen eben auch so Hüllen. Genau, und Leute verrohen dann eben auch, und ich glaube, ein wichtiger Punkt ist eben auch die Anonymität. Also erst mal, dass keine Konsequenzen drohen, und das zweite ist eben die Anonymität, und das dritte, du und ich wir sehen uns jetzt, das ist ein Podcast, aber niemand sieht uns, aber wir beide sehen uns, und das macht was mit dem, was ich zu dir sage und wie ich, weil ich von dir eine unmittelbare Reaktion bekomme. Aber wenn ich dich nicht sehe und einfach nur einen Avatar und dich im Computer beleidige, dann ist das was viel abstrakteres, und das macht es Menschen leichter, andere Menschen abzuwerten, weil sie eigentlich gar nicht die Menschen dahinter sehen. Das ist auch noch ein wichtiger Faktor.

Julius Bertram: Ähm, ich finde, dass du das gut erklärt hast und dass du das mega verständlich erklärt hast, und trotzdem frage ich mich, was in den Menschen in dem Moment, wo die solche Sachen ablassen, was in den Menschen vor sich geht, warum es dann nicht eine Schamgrenze gibt, eine Grenze gibt, auch weil man sich in einem sozialen Gefüge zugehörig fühlt, warum das einfach nicht mehr da ist. Ich verstehe das mit dem rechtsfreien Raum, das was du sagst, hat halt keine Konsequenzen. Das ist gesetzt, aber ich meine den Schritt davor. Also was löst es in dem Kopf aus, dass jemand denkt, ich kann das sagen.

Anna-Lena von Hodenberg: Also, es sind halt, gibt halt ja diese sogenannten Mitte Studien. Da ist ja jetzt auch wieder eine rausgekommen, und die Messen ja, wie eigentlich so Grundeinstellungen in Deutschland sind. Und da sehen wir ja, dass ein kleiner Teil der Bevölkerung ein rechtsextremes Weltbild hat, und dass ein großer Teil der Bevölkerung bestimmte Aussagen zu stimmt, antisemitischen Aussagen, rassistischen Aussagen, frauenfeindlichen Aussagen. Das heißt, die Gedanken sind ja schon da, und die Einstellungen sind ja schon da. Und warum denke ich jetzt, dass ich das sagen kann? Ähm, das liegt tatsächlich daran, dass es plötzlich einen Raum gibt, wo ich das kann und wo ich das dann einfach mal ausprobieren kann und wo ich merke, es gibt dafür auch eine Zustimmung, und ich treffe plötzlich ganz viele andere Leute, die das auch finden. Zumindest fühlt es sich anders wären es ganz viele andere Leute auch. Das ist ja sozusagen nochmal, kann ich ja von außen nicht sehen. Aber genau plötzlich bin ich in einem, bin ich in einem Raum, wo das nicht mehr in Frage gestellt und sanktioniert wird, sondern im Gegenteil sogar noch belohnt wird, und dann werden Grenzen des Sagbaren verschoben, und plötzlich mache ich mir gar keine Gedanken mehr darüber, ob ich das sagen kann oder nicht. Dann wird das normal, und dann sage ich das auch nicht mehr nur da. Dann gehe ich auch zum Beispiel auf die Straße und schreie Journalist*innen an und sage denen das, oder ich gehe auf Parteiveranstaltungen und sag das dann mal einfach, und so verteilt es sich so ein bisschen wie so Tinte, die weißes Wasser färbt, immer weiter in unsere Gesellschaft und in unseren gesellschaftlichen Diskurs.

Julius Bertram: Würdest du sagen, dass die Menschen, die diese Meinung nachgehen, nachhängen, dass das noch die Minderheit ist?

Anna-Lena von Hodenberg: Also zumindest auch wenn ich die mir die Mitte Studien angucke, nein!

Julius Bertram: Sind wir dann als Zivilgesellschaft zu leise?

Anna-Lena von Hodenberg: Natürlich sind wir zu leise, aber auch natürlich, weil es auch nicht eine Waffengleichheit gibt zwischen uns und denen, die so laut schreien. Also man muss ja nochmal differenzieren zwischen denen, die eben zum Teil die haben ja kein durchgängig rassistisches, oder rechtsextremistisches Weltbild, sondern es sind Leute, die einzelnen Aussagen zustimmen. Das sind immer noch Leute, die man durchaus auch noch auf eine andere Seite mit Argumenten wahrscheinlich überzeugen kann. Das heißt, die sind eigentlich noch nicht verloren. Ich nenne das immer diese volatile Mitte, die ist noch beweglich, und als Zivilgesellschaft agieren wir natürlich nicht mit den gleichen Waffen wie jetzt diejenigen, die eben die ganze Zeit hetzen, und wir haben auch nicht die gleichen Tools. Also Hetzer haben eben fünf bis zehn Fake Accounts, also Sockenpuppen, Accounts, mit denen sie halt gleichzeitig posten, und niemand, du kannst, kannst halt nicht nachverfolgen. Ich guck halt unter einen Kommentar und sehe da zehn unterschiedliche Hasskommentare und denke mir, krass, zehn Leute haben das gepostet, und am Ende war es nur eine Person, die aber zehn Accounts bedient hat. Ähm, die sind halt super aktiv, die sind super schnell, die sind mega krass vernetzt. Die schmeißen deinen Namen, wenn sie dich beleidigen und angreifen wollen, in eine Telegram Gruppe und schreiben dazu, und dein Account bei X, schreiben dazu 20 Uhr, und dann hast du 20 Uhr mal eben 1000 Hasskommentare von vielleicht 200 Leuten. Das merkst du aber überhaupt nicht. Das heißt, die sind einfach super gut organisiert, die sind super gut vernetzt, und die agieren so, dass sie eben auch den Algorithmus der Plattform total gut nutzen, um eine große Reichweite zu bekommen. Und das ist eben das zweite Problem, dass der, dass die Algorithmen der Plattformen Hass, negative Emotionen, Empörung eben begünstigen. Und das ist eben so ein bisschen so, wie ich bin, die Zivilgesellschaft. Wir beide stehen sozusagen auf dem Marktplatz, ich bin die Zivilgesellschaft, und du bist sozusagen die hasserfüllte Person, und ich mit meinen ausgewogenen Inhalten stehe halt unten auf dem Marktplatz und rede da zu den Leuten, und du stehst auf einer Bühne mit einem krassen Mikrophon und übertönst mich sozusagen, weil du eben vom Algorithmus der Plattform auf diese krasse Bühne gehüpft, gepackt wurdest und dort noch das Mikrofon bekommen hast, weil deine Inhalte einfach die Leute mehr animieren und eben schneller Viral gehen, und das verstärkt natürlich dann der Algorithmus. Und so gibt es eben keine Waffengleichheit zwischen Zivilgesellschaft und denjenigen, die Hass und Hetze sehen. Und die Frage ist eben, und ich finde auch nicht, dass man der Zivilgesellschaft jetzt sagen sollte, mach dir auch irgendwie zehn Fake Accoounts?

Julius Bertram: Das wäre meine Frage gewesen.

Anna-Lena von Hodenberg: Genau nein, nein, also das wollen wir eben auch nicht. Aber wir müssen dafür sorgen, dass die Plattform so gestaltet werden, dass dieser Missbrauch von der anderen Seite einfach nicht mehr möglich ist und dass es eben eine Waffengleichheit gibt und das eben dann auch wieder vernünftige Diskussionen auf einer gleichen Grundlage stattfinden können. Und dann wird es auch wieder ein öffentlicher Raum, in dem Leute auch wieder Lust haben, sich zu beteiligen, und an dem es für die Zivilgesellschaft nicht auch mittlerweile manchmal lebensgefährlich ist, sich da in Diskussionen zu begeben.

Julius Bertram: Also, das, was du vorhin mit der Trump Kampagne beschrieben hast, ist ja das, was man allgemein als Negative Campaigning beschreiben könnte. Warum bedienen sich die, ich mag das Wort nicht, aber alle wissen bescheid, wenn ich sage, die Altparteien, warum bedienen sie sich nicht diesen Mitteln? Weil sie es nicht können, weil sie es nicht wollen, weil sie es nicht nicht dürfen?

Anna-Lena von Hodenberg: Also Negative Campaigning zu machen ist, einfach unredlich. Also du verlierst halt dann auch deine Glaubwürdigkeit bei deiner eigenen Klientel, wenn du das machst. Das sollten wir nicht machen. Was wichtig ist, ist dass wir als Zivilgesellschaft, und was halte ich davon, sozusagen Waffengleichheit herzustellen, ähm, dass wir eben gucken, wie müssen wir eigentlich in einer Demokratie diese Plattform gestalten, damit, wenn sie unsere wichtigsten öffentlichen Räume sind, damit sie nicht dafür benutzt werden, unsere Demokratie zu erodieren und zu zerstören, sondern indem die eben erhalten bleibt. Also wie können wir sozusagen die positiven, ohne eben unsere Grundrechte massiv einzuschränken, wie können wir die positiven Seiten der Digitalisierung nutzen, dass viele Menschen teilhaben können, aber eben auch dafür sorgen, dass wir Meinungsfreiheit erhalten für alle und nicht nur für die, die am lautesten schreien, dass wir Persönlichkeitsrechte erhalten, und zwar auch nicht nur für die, die am lautesten schreien. Wie können wir das hinkriegen, diese Räume so zu gestalten? Und da sehe ich eher sozusagen den Hebel, anstatt anzufangen, mich denen anzugleichen, die ja die einfach versuchen, das eben unredlich auszunutzen. Also wie können wir transparenter werden, anstatt die Intransparenz der anderen zu übernehmen. Wir können wir fairer kommunizieren, anstatt die Unfairness sozusagen der anderen zu übernehmen. Wie können wir das als Gesellschaft hinkriegen? Das finde ich viel, viel interessanter, weil ich glaube, dass am Ende was passiert denn, wenn wir auch plötzlich so polarisierend werden, dann ist es wie in den USA, wo 52 Prozent der Leute glauben, die letzten Wahlen die waren manipuliert, und die andere Hälfte glaubt, es ist nicht so, und das ist so in essenzielles demokratisches. Also, glauben wir noch an diese Demokratie oder nicht, und über 50 Prozent tut das schon in den USA nicht. Wollen wir dahin kommen? Nee, wir wollen doch eigentlich, also langfristig ist das doch, kann das auch nicht unser Ziel sein. Spielen wir eigentlich denen in die Hände, die auch die Demokratie in Frage stellen wollen? Das heißt, eigentlich müssen wir doch dafür sorgen, dass dieser Raum ein fairer Raum ist, der eben Demokratie auch schützt und stärkt und nicht für Polarisierung sorgt.

Julius Bertram: Ich habe an der Stelle einen Begriff verwendet, von dem ich eben gelernt habe, dass man ihn nicht verwenden sollte.

Anna-Lena von Hodenberg: Genau das ist ein Begriff, der total gut zeigt, wie eben eigentlich Begriffe, die aus einer rechten, rechtsextremen Szene kommen, also rechtsextreme Kampfbegriffe sind, es geschafft haben, weil sie so oft im Internet wiederholt wurden von so vielen, von so vielen Stimmen, die es geschafft haben, dass sie jetzt eben sozusagen auch im normalen Sprachgebrauch und auch teilweise auch von seriösen Medien aufgenommen wurden. Und genau Altparteien ist tatsächlich ein rechtsextremer Kampfbegriff, und deswegen sollte man ihn nicht reproduzieren, weil man ihn dann jedes mal wieder legitimiert.

Julius Bertram: Und jetzt kurze Antwort. Wenn ich den Begriff nicht verwende, was sag ich stattdessen?

Anna-Lena von Hodenberg: Ich würde sagen, die demokratischen Parteien, weil das eine gute Abgrenzung ist zu eben Parteien, die Menschen in ihren Reihen haben, die eben undemokratisch sind oder auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Julius Bertram: Guter Punkt, Gott, wie sollten davon weg kommen. Es ist so verdammt negativ. Sag mal, du hast so viele Preise bekommen, top 30 der Global Digital Women, 40 unter 40, des Capital Magazin oder Kapital Magazin, digital female Leader Award, Fokus, 100 Frauen des Jahres. Es ist wahrscheinlich ist es nicht mal vollumfänglich. Da ist noch viel, viel mehr mit dabei. Wo sind die ganzen Pokale?

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, ein paar siehst du hier, die stehen da, oben steht dieser digital female leader award, das können die Zuhörer*innen nicht sehen. Aber so ein paar Sachen stehen hier rum. Ähm, ja, also ich habe mich natürlich darüber gefreut. Gleichzeitig sehe ich halt, als stehen die halt hier so im ganzen Büro verteilt, weil klar bin ich natürlich die Geschäftsführerin. Jetzt bis vor kurzem die einzige Geschäftsführerin gewesen, sind wir ja zu zweit. Aber Preise und große Dinge, die bekommt man zwar, die bekommt man eigentlich nie alleine. Also zwar wird das immer dann an die Geschäftsführer gegeben, aber gleichzeitig alles, was wir hier geschafft haben, das habe ich nicht alleine geschafft, sondern das hab ich immer, das schaffe ich immer nur mit meinem Team, und das ist, glaub ich, wenn man sich HateAid auch anguckt, hat das am Anfang vorgestellt, wir haben so unterschiedliche Expertisen aus unterschiedlichen Disziplinen, eben die Sozialarbeitenden, die Kommunikationsprofis, Securityleute, das sind so unterschiedliche Bereiche, und dass unser Erfolg der speist, sich daraus, dass wir gut zusammenarbeiten und das eben so zusammenbringen. Und da kann ich sagen, okay, da bin ich eben diejenige, die das immer wieder guckt, okay, wie können wir das irgendwie gut zusammenbringen und auch eben diese Vision da nach vorne trägt, aber am Ende die Arbeit, die machen wir alle zusammen, und deswegen sind das nicht nur alleine meine Preise, auch wenn da immer an Anna-Lena von Hodenberg drauf steht, sondern die gehören hier jeder Person, die bei HateAid arbeitet und auch noch arbeiten wird.

Julius Bertram: Würdest du Leuten empfehlen, viel Energie darauf zu verwenden, um Preise zu bekommen, weil dann nämlich die Reichweite größer wird?

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, also, als ich hier angefangen habe bei HateAid, da hat mich das überhaupt nicht interessiert. Ich komme auch eher aus, ich bin eher so erzogen worden, man ist da eher bescheidener, und ich bin ja auch eine Frau. Das heißt, da ist sowieso noch mal, nimm dich eher zurück und dränge dich nicht so in den Vordergrund und so weiter. Aber das würde ich. Jeder Person, die im sozialen Bereich ist, würde ich das Gegenteil empfehlen. Das kann ich auch aus meiner Erfahrung als Journalistin sagen. Also, drängt euch in die Öffentlichkeit, versucht, eure Stimme da unter zu bringen, wo ihr könnt, nutzt alles, um für eure guten Projekte Öffentlichkeit zu bekommen. Und dieser erste Preis, den ich bekomme, das weiß ich noch, das war dieser global digital female award. Da hatte mich eine Mitarbeitende, hat mich da nominiert, und ich dachte noch so, ach, was will die denn dann mit diesem Schnickschnack, und das hat mir und HateAid einfach so viel Sichtbarkeit gegeben. Das war so gut, dass ich danach gesagt habe, dass wir müssen das nutzen für unsere Sache. Das sind ja immer wieder auch Möglichkeiten, wo ich dann noch mal unser Thema nach vorne bringen kann, und wenn ich dafür irgendwie meine Person benutze, dann ist das eben so, und ab dann habe ich auch angefangen von mir selber, sozusagen in dieser HateAid, es gibt sozusagen die private Anna-Lena, und dann gibt es mich sozusagen als HateAid Geschäftsführerin, und da bin ich einfach dann eine, diese Figur, die das eben tut, die das für HateAid tut. Da gibt es natürlich Überschneidungen zur privaten Anna-Lena. Ganz klar, aber meine private Anna-Lena sagt, dränge dich nicht so in Vordergrund und spiel dich nicht so auf, und die HateAid Anna-Lena sagt aber, do it for the cause, so du musst es machen, das ist Teil deines Jobs, geht da nach vorne und nutze was du hast und kannst, um dein wichtiges Anliegen irgendwie nach vorne zu bringen. Und deswegen würde ich das mal, abgesehen, davon, ob ich das gut finde oder nicht, dass das so ist, würde ich das trotzdem allen empfehlen und vor allen Dingen auch Frauen sagen, Leute, werft sozusagen diesen Scham oder auch diese Zurückhaltung irgendwie ab und geht da raus und holt euch diese Preise und bringt eure wichtige Arbeit nach draußen, um auch andere zu inspirieren und auch Gesellschaft einfach zu verändern.

Julius Bertram: Jetzt hast du darüber gesprochen, dass es eine private und eine professionelle Anna-Lena gibt. Wie gehst du damit um, dass du zwar von einem Team umgeben bist, das mit Sicherheit mit ganz viel Liebe dir begegnet, wo alle sehr gut zu einander sind? Ja, aber in einem Umfeld agiert das voll ist mit Hass. Wie schaffst du das dabei, nicht völlig verrückt zu werden?

Anna-Lena von Hodenberg: Indem ich Gott sei dank merke, dass wir Dinge verändern, also dass wir wirklich wirksam sind, dass wir Wirkung haben, dass wir mit jedem Prozess, den wir gewinnen, jeder Person, die irgendwie Gerechtigkeit bekommt, als wir vors Bundesverfassungsgericht gegangen sind, als wir gegen Meta jetzt in der ersten Instanz unseren Grundsatzprozess gewonnen haben, aber auch jede kleine, jedes kleine Verfahren, wenn die irgendwie für eine Person 1000€ Schmerzensgeld eintreiben können, als wir Akif Pirinçci sein Konto gepfändet haben mit 6000 €, mit Luisa Neubauer, dass ich irgendwo betroffene treffe, die dann sagen, ja, da war ich bei ihnen in der Beratung, und das hat mir so geholfen, und dann habe ich mich nicht aus dem digitalen Raum zurückgezogen, oder dann habe ich einfach, ich wollte erst mein Account löschen, hab ich doch nicht gemacht. Genau also, dass ich sehe, dass wir Gesetze ändern und Menschen mehr Rechte bekommen, das ist das, was mich tatsächlich, ich sehe, den Hass. Das ist auch richtig ätzend und unschön und manchmal auch schwer auszuhalten. Manchmal muss mir auch Dinge angucken, wo ich denke, da hätt ich einen gut in mein Leben irgendwie mit verbringen können, sowas nicht zu lesen oder zu sehen. Ähm, und gleichzeitig dadurch, dass ich sehe, dass wir wirklich auch, dass wir Veränderungen schaffen, ist es auch eine Motivation zu sagen, ich muss weiter dafür sorgen, dass ich mir vielleicht irgendwann solche Sachen nicht mehr angucken muss, und das können wir auch schaffen, und da glaube ich auch dran, und das sehe ich auch an dem, was wir, was wir bisher schaffen, dass das möglich ist, und deswegen mache ich da weiter, und deswegen ist das, glaube ich, so dieser Mechanismus, diese Selbstwirksamkeit, die dann auch eine Motivation ist, weiterzumachen, und das einfach auch, dann kann man sich das ganz gut verarbeiten, würde ich sagen.

Julius Bertram: Jetzt hast du krasse Erfolge angeführt, und trotzdem, ich muss in die Wunde einmal reinpieken, obwohl es mir von Herzen leid tut. Du machst so super wichtige Arbeit, und trotzdem hat euch im Ministerium vor kurzem in gehörigen Betrag einfach weggestrichen.

Anna-Lena von Hodenberg: Das stimmt.

Julius Bertram: Warum also, wie kann das sein? Wie kann es sein, dass ihr? Das ist so eine leidige Diskussion? Weil wir tun das alle. Wir übernehmen staatliche Aufgaben? Ja, eigentlich ist das, was sie machen, also auch das, was wir mit unserer Beratungsstelle machen für das Bildungs- und Teilhabepaket. Also ehrlich, ich hätte kein Problem damit, wenn das andere Stellen machen, weil es einfach deren Aufgabe ist. Wenn man dann aber noch um Gelder kämpfen muss oder zugesagte Gelder nicht ausgezahlt werden oder gestrichen werden, dann habe ich schon für mich auch aber und so dem Moment, wo es so sinnlos wird.

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, und das Problem, ich sag mal so, das ist ja, ich bezahle damit unserer betroffenen Beratung, also die Leute, die ans Telefon gehen, wenn Menschen, die Gewalt erfahren haben, Hilfe brauchen. Ich bezahle damit nicht die Prozesskostenfinanzierung, ich bezahle damit nicht die politische Arbeit. Ich bezahle wirklich die direkte Hilfe an Betroffene von digitaler Gewalt, und das ist für mich eine öffentliche Aufgabe, und das war oder ist ein krass harter Schlag zu sehen, dass das anscheinend überhaupt nicht, dass das sozusagen, dass man das ist, was man einfach mal so kürzen kann, weil gut, dann kriegen die Leute eben kein, werden die Leute eben nicht betreut, dann werden Gewaltopfer eben nicht, wird sich eben nicht um die gekümmert werden, die eben alleine gelassen werden und vor allen Dingen, weil es eben auch sozusagen diesen Demokratieaspekt hat. Also, es geht ja nicht nur darum, Menschen zu unterstützen, sondern es geht ja darum, dass diese Stimmen sich aus diesem digitalen Raum nicht zurückziehen und dass wir die unterstützen, sich auch Gerechtigkeit zu holen. Und das hat ja was damit zu tun, auch diese Demokratie, eben auch diese Vielfalt im demokratischen Diskurs eben auch zu erhalten, und die Leute eben nicht, dass die Leute eben nicht mundtot werden, sondern da weiter auch widersprechen und für ihre Meinung einstehen, und dass einfach so weg zu sparen und zu sagen, ist jetzt egal in einer Zeit, wo sich eben rechtsextreme Bewegung auch in der Mitte der Gesellschaft festsetzen. Das ist, was mich eigentlich am aller meisten geschockt hat, dass ich dachte, mein Gott, in Zeiten wie diesen, und wir haben doch gerade über die Mitte Studie gesprochen, wo unsere Demokratien, und ich meine, da muss ich ja überhaupt nicht weit gucken, nach Italien, nach Polen, nach Ungarn, in die USA.

Julius Bertram: Frankreich, Niederlande

Anna-Lena von Hodenberg: Na klar, eben so krass unter Druck stehen, dass in solchen Zeiten, wo Ähm, rechte beziehungsweise auch rechtsextreme Meinung so salonfähig sind wie seit langem, nicht mehr seit dem zweiten Weltkrieg, dass das in solchen Zeiten eben gesagt wird, neuer Demokratieprojekte, die besparen wir jetzt! Das ist eigentlich das, was mich am meisten schockiert hat und wo ich ja für so einen Moment auch gerne mal kurz ein Loch in Boden gegraben hätte und meinen Kopf reingetan hätte und das so zu gebuddelt hätte und gesagt hätte, jetzt bleibe ich erstmal hier!

Julius Bertram: Hast du aber nicht? Sitz immer noch hier!

Anna-Lena von Hodenberg: Genau

Julius Bertram: Gott sei Dank.

Anna-Lena von Hodenberg: Weil, das können wir uns natürlich nicht gefallen lassen, das muss man natürlich. Da kommt auch wieder so die Journalistin in mir durch und auch die genau, also gut für einen Moment, mal eben den Kopf ins Loch da stecken, okay, und dann wieder durchatmen und dann sagen, so geht das nicht, und das auch irgendwie wieder nutzen und zu sagen: Moment mal, wir sind eben in solchen Zeiten, da müssten wir eigentlich sogar mehr Geld in Demokratieprojekte investieren und das eben öffentlich machen und sich davon auch nicht, sich davon nicht kleinkriegen lassen, obwohl das eben ein krass harter Rückschlag ist, ja und einfach weiterzukämpfen und versuchen, die Gelder eben anders aufzutreiben, versuchen jetzt nochmal, wir sind ja immer noch dabei zu gucken, ob wir eben übers Parlament vielleicht noch diese Förderung für unsere Beratung bekommen können. Das wird sich erst im November entscheiden. Das heißt, dass einfach nochmal zu versuchen und einfach weiterzumachen, also sich nicht gerade in diesen Zeiten dann eben zu sagen, okay, zur Not muss es dann eben mit halber Kraft gehen. Aber, ähm, ja, aufgeben ist keine Option, und schon gar nicht in diesen Zeiten.

Julius Bertram: Ist es nicht eigentlich so, dass die Leute dafür zahlen müssten, die das Problem verursachen, also die großen Social Media Konzerne?

Anna-Lena von Hodenberg: Sehe ich ganz genauso.

Julius Bertram: ja!

Anna-Lena von Hodenberg: Sehe ich so.

Julius Bertram: Und warum tun sie es nicht? Oder? Ich formuliere meine Frage um: warum verdammt, tun sie es nicht?

Anna-Lena von Hodenberg: Ja, das kann ich dir sagen, weil niemand das von ihnen verlangt, und das ist mir eigentlich ehrlich gesagt ein totales Rätsel, warum das so ist. Also, die machen halt manchmal so charity und spenden dann mal wieder ab und zu an eine NGO und die NGO und werden dann dafür gefeiert und sagen, was sie da irgendwie alles tolles machen. Aber am Ende des Tages verdienen sie Geld mit Hass, sie verdienen Geld mit Polarisierung. Das ist ganz klar. Das wissen wir auch seit den Facebook Files. Das hat Francis Hogan uns mit ihren, sie war da wirklich die gute Heldin, die minutiös Daten vom Screen da abfotografiert hat und die dann da raus geschmuggelt hat aus dieser Facebookzentrale. Da steht es schwarz auf weiß. Sie wissen ganz genau, was für Schäden für Gesellschaft und Demokratie und auch für einzelne, für unsere Kinder bei Instagram zum Beispiel mit diesen ganzen Magersuchtsgeschichten, für Menschenhandel, was das für Schäden für unsere Gesellschaften und für Einzelpersonen hat, die Mechanismen, die auf den Social Media Plattformen. Ja, und sie sind auch bereit, ein bisschen was zu tun, aber sobald das eben Rendite schmälern könnte, und das ist das, was, glaube ich, aus dem Facebook Files für mich so, dass so unterm Strich, das war das absolute Learning. Wenn das eben Rendite schmälert, dann sind sie nicht bereit, was zu tun, und das ist halt, das ist halt total krass. Das heißt, sie verdienen mit Hass, aber sie sind nicht bereit, also sie werden sozusagen nicht zur Rechenschaft gezogen, die sogenannten Kollateralschäden des Hasses dann auch zu bezahlen. Also eigentlich müsste es meines Erachtens nach, in meiner idealen Welt gäbe es eine Besteuerung, die würde in einen Topf gehen. Also die Social Media Plattformen dürfen auch nicht bestimmen, für welche NGO‘s das irgendwie ausgegeben wird, und da gibt es eine unabhängige Kommission, die verteilt dieses Geld, so würde ich das organisieren.

Julius Bertram: So, den Vorschlag bringen wir jetzt ein, den nehmen wir mit. Meine vorletzte Frage, im besten Fall ist HateAid irgendwann überflüssig. Wir wissen alle, dass es so nicht kommt, was total traurig ist. Aber im besten Fall braucht ihr euch nicht, weil alle total nett und voll friedlich miteinander sind und die Plattformen die Probleme selber regulieren. Also im besten Fall die Idealvorstellung: jeder Ngo, schafft ihr euch selber ab. Was können wir, die dir jetzt zuhören? Was können wir dazu beitragen, dass das so läuft?

Anna-Lena von Hodenberg: Eine ganze Menge, und zwar erstens mit Menschen, die ihr seht, die im Netz angegriffen werden, Solidarität zeigen. Das ist das aller aller wichtigste, die zu unterstützen, denen eine Nachricht zu schreiben und zu sagen, ich sehe, was dir gerade passiert. Lass dich nicht unterkriegen, ich stehe an deiner Seite. Du hast Recht, das ist bewundernswert, wie du dich hier einsetzt. Lass dich nicht unterkriegen, also nicht mit den Hater*innen diskutieren, aber diejenigen unterstützen, die angegriffen werden. Das ist das erste. Das zweite ist, Sachen melden bei den social Media Plattformen, damit das nicht die Betroffenen machen müssen. Wenn du tausend Hasskommentare bekommst, dann ist das echt eine Erleichterung, wenn andere Leute einfach diese Sachen nach netz.de beziehungsweise jetzt auf den Plattformen eben melden, und wenn du Sachen siehst, wo du denkst, krass, sowas, darf man doch eigentlich gar nicht sagen, das ist ja eine Morddrohung oder das ist ja eine Vergewaltigungsandrohung, dann kann man das ganz einfach bei der Polizei online anzeigen und auch das oder bei uns oder bei der Meldestelle respect, und auch das ist das ist wie wenn du in der U-Bahn sitzt und du siehst, da wird jemand zusammengeschlagen, dann rufst du doch auch die Polizei oder du gehst hin und mischst dich ein. Also aktiv in diesem digitalen Raum, in dem wir uns die ganze Zeit bewegen genauso selbstverständlich aktiv zu werden, wie wir das auch im analogen Leben machen würden. Das ist das eine, und das zweite ist, wenn ihr euer Kreuz macht auf dem Wahlzettel, dann guckt euch mal an, was die Parteien eigentlich in diesem digitalen Raum vorhaben. Wer ist dafür, die Plattform vernünftig zu regulieren? Wer setzt sich eben ein für Rechte von Betroffenen von digitaler Gewalt, für marginalisierte Gruppen im digitalen Raum, und lasst das in eure Wahlentscheidung einfließen und empört euch darüber, was ihr alles auf den sozialen Medien euch geben müsst. Also über 70 Prozent sagen, dass sie schon digitale Gewalt gesehen haben im digitalen Raum. Menschen sind ständig Desinformation ausgesetzt. Unsere Kinder können in drei Klicks auf Pornoplattformen sein oder gewaltvolle Inhalte bei Tiktok sehen oder sich irgendwie radikalisieren lassen. Warum akzeptieren wir das einfach. In anderen Bereichen machen wir das auch nicht. Warum empören wir uns nicht? Warum gehen wir nicht dagegen auf die Straße und fordern, dass wir und unsere Kinder in diesem digitalen Raum, indem wir, in denen wir morgens einsteigen, wenn wir das Smartphone nach dem Aufstehen sehen, als allererstes angucken und als allerletztes, bevor wir ins Bett gehen? Wenn in diesem digitalen Raum, warum fordern wir das nicht, weil das ist doch einer unserer wichtigsten Lebensräume mittlerweile geworden. Also, das sind Dinge, die wir alle machen können, und ich glaube, dann gibt es auch genug Druck, damit sich was verändert.

Julius Bertram: Du warst kurz davor, mit der Faust auf den Tisch zu hauen. Ich hab's gesehen, so ganz kurz davor zuschreiben, empört euch!

Anna-Lena von Hodenberg: Das stimmt, und ich hoffe, dass bald nicht nur ich die einzige bin, sondern dass ganz viele Leute mit der Faust auf den Tisch hauen und sagen, ich fresse nicht mehr das, was mir diese Social Media Plattformen vorsetzen, sondern ich will was besseres und das hab ich auch verdient!

Julius Bertram: Meine letzte Frage: mit welchem Song möchtest du diesen Podcast beenden?

Anna-Lena von Hodenberg: Ich möchte diesen Podcast beenden mit Gianna Nannini, Bello E Impossibile, weil das mir immer mega gute Laune macht und für das gute Leben steht, und ich finde.

Intro/Outro: Ja, das haben wir alle verdient!

Julius Bertram: Da haben wir wirklich zum Schluss noch eine richtig gute Wendung hinbekommen. Danke dir für deine Zeit!

Anna-Lena von Hodenberg: Ich danke dir.

Intro/Outro: Goodcast, der Podcast, der wird präsentiert von Viva Equality. Mit freundlicher Unterstützung von MAKIKO.

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